anlässlich der Öffentlichen Anhörung zur Ergänzung miet- und gewerbemietrechtlicher Regelungen am 19. Mai 2021.
Sehr geehrte Damen und Herren,
wir möchten Ihrem Ausschuss, der über einen Gesetzentwurf zu einem Gewerbemietrecht berät, unsere Auffassung zukommen lassen. Wir sind ein Bündnis aus Mitgliedern verschiedener Berliner Initiativen, die sich seit mehreren Jahren mit der Verdrängung von Gewerbetreibenden auseinandersetzen.
Unser Zusammenschluss entstand, als die Buchhandlung „Kisch & Co.“ in Berlin-Kreuzberg bereits zum zweiten Mal keinen neuen Gewerbemietvertrag erhalten sollte. Wir halten diesen Fall für exemplarisch, da er das Dilemma der Gewerbetreibenden abbildet.
Die Buchhandlung „Kisch & Co.“ existiert seit 24 Jahren in der Oranienstraße 25. Das Haus ist ein reiner Gewerbestandort, an dem außer der Buchhandlung unter anderem eine Galerie, ein Museum sowie Büros und eine Yoga-Schule ansässig sind.
Im Jahr 2007 erwarb die Nicolas Berggruen Berlin Five Properties GmbH & Co. KG das Grundstück für 7,2 Millionen Euro. 2017, als der Vertrag der Buchhandlung auslief, versuchte die Immobilienfirma, „Kisch & Co.“ durch einen anderen Mieter zu ersetzen. Proteste aus der
Nachbarschaft führten dazu, dass der potenzielle Mieter absprang; die Buchhandlung erhielt einen neuen Vertrag. Schon hier zeigt sich aber ein Problem der bestehenden rechtlichen Situation im Gewerbemietrecht: Der Mieter ist, egal ob mit befristetem oder unbefristetem Mietvertrag, ständig in Gefahr, vom Vermieter kurzfristig die Existenzgrundlage entzogen zu bekommen.
2019 verkaufte die Nicolas Berggruen Berlin Five Properties GmbH & Co. KG ihr Haus für 35,5 Millionen Euro an einen Luxemburger Immobilienfonds, die Victoria Immo Properties V S.a.r.l. Dahinter stehen vermutlich Erb*innen aus der schwedischen Rausing-Familie, die ihr Vermögen der Erfindung der Tetra-Paks verdankt. Anhand dieser sprunghaften Kaufpreissteigerung zeigt sich, dass Immobilien vielfach kein Objekt langfristiger Investitionen, sondern kurzfristiger Spekulation geworden sind. Die existierenden Regelungen gehen hingegen von einem wirtschaftlichen Interessenausgleich auf Augenhöhe zwischen Gewerbemieter*innen und Vermieter*innen aus.
Im Mai 2020 lief der Vertrag der Buchhandlung wieder einmal aus. Die Victoria Immo Properties wollte nun gar nicht mehr über eine Verlängerung des Vertrages verhandeln. Weil mittlerweile aber viele Kund*innen von „Kisch & Co.“ per Video-Botschaft auf You Tube an den Immobilienfonds appelliert hatten, ihren Buchladen zu erhalten, erhielten die Betreiber ein Angebot: Bis zum Jahresende sollten sie bleiben können – aber nur, wenn sie ihrerseits eine „positive“ VideoBotschaft über diesen Umstand verbreiten und gleichzeitig Lokalpolitiker*innen und Medien entsprechend einstimmen würden. Über diese Vereinbarung sollte Stillschweigen gewahrt werden.
Solche Vertragsangebote wären mit den Schutzvorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuches für Wohnungsmieter nicht vereinbar. Doch Gewerbemieter sehen sich von grenzenloser Vertragsfreiheit bedroht, wenn die Vermieterseite diese Bedingungen diktieren kann.
„Kisch & Co.“ ließ sich nicht darauf ein, die Betreiber blieben in ihrem Geschäft und verloren anschließend den Prozess um die erwartbare Räumungsklage nach Recht und Gesetz.
Sehr geehrte Damen und Herren, wir fragen uns, ob Recht und Gesetz weiterhin so gelten sollten für Gewerbemieter*innen, die stets pünktlich ihre Miete zahlen, aber dem unzureichenden Gesetz ausgeliefert sind.
Wir fragen uns auch, wie unsere Nachbarschaften aussehen werden, wenn dieses unzureichende Gesetz derartige Entwicklungen nicht stoppen kann. Haben wir, wenn die großen Immobilienfirmen noch mehr Häuser übernehmen, überhaupt noch Klempner*innen und eine Arztpraxis in unserer Nähe? Ein Theater, ein Kino? Was wird aus unseren Kinderläden, unseren sozialen Einrichtungen mit Gewerbemietverträgen?
Die Entwicklung des Gewerbemietmarkts vernichtet nicht nur Existenzen der Gewerbemieter*innen. Sie wirkt sich unmittelbar auf die gesamte Nachbarschaft und all ihre Bewohner*innen aus, deren fundamentales Recht auf Nahversorgung gefährdet ist.
Es ist uns am Beispiel unserer Buchhandlung klargeworden, dass Sie als politisch Verantwortliche, also als Gesetzgeber*innen, jetzt handeln müssen. Wir fordern Sie deshalb auf, ein gutes, vernünftiges und vor allem lückenloses Gewerbemietrecht auf den Weg zu bringen und sich bundesweit für den Erhalt unserer Nachbarschaften einzusetzen.
Weitere Informationen dazu findet ihr auf der Seite des Deutschen Bundestag
Kurzer Überblick:
- Linke will Gewerbetreibende vor Mietexplosion schützen
Der Bundestag hat am Donnerstag, 30. Januar 2020, einen Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Titel „Kleingewerbe und soziale Einrichtungen vor Mietenexplosion und Verdrängung schützen“ (19/16837) - Der Bundestag hat am Donnerstag, 8. Oktober 2020, erstmals über einen Gesetzentwurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zur Ergänzung mietrechtlicher und gewerbemietrechtlicher Regelungen des Bürgerlichen Gesetzbuches (19/23116) beraten.
- Über die Situation der Kommunen in Zeiten der Corona-Krise hat der Bundestag am Freitag, 6. November 2020, debattiert. Einen Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel „Risikoverteilung bei Gewerbemieten klarstellen – Selbstständige, kleine und mittlere Unternehmen in der Corona-Krise unterstützen“ (19/22898) überwies er nach einstündiger Aussprache zur weiteren Beratung an den federführenden Rechtsausschuss.
- Abgelehnt wurde eine Antrag von Bündnis 90/Die Grünen, mit dem sich die Fraktion für Hilfen für Kleingewerbe in der Corona-Krise stark macht (19/22898).
- Um zwei Gesetzentwürfe und einen Antrag zum Thema Mietrecht ging es in einer weiteren Anhörung im Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz am Mittwoch, 19. Mai 2021. Auf der Tagesordnung der vom stellvertretenden Ausschussvorsitzenden Prof. Dr. Heribert Hirte (CDU/CSU) geleiteten Sitzung standen ein Gesetzentwurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zur Ergänzung mietrechtlicher und gewerbemietrechtlicher Regelungen des Bürgerlichen Gesetzbuches (19/23116), ein Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Titel „Kleingewerbe und soziale Einrichtungen vor Mietenexplosion und Verdrängung schützen“ (19/16837)