Da wir zu unserem offenen Brief zu der Nazi-Solo-Show im Görlitzer Park am 04.10.2020 nur eine kurze Antwort der Bezirksbürgermeisterin erhalten haben, haben wir über das Portal "Frag den Staat" bei der Polizeipräsidentin von Berlin nochmal nachgefragt.
Meine Anfrage bezieht sich auf eine Versammlung die am 04.10.2019 im Görlitzer Park stattgefunden hat.
Meine Fragen dazu sind:
1.
Wieso wurde ein rechtskräftig verurteilter rechtsextremer Gefährder, als geeigneter und zuverlässiger Anmelder dieser Versammlung angesehen? Die Hamburger Polizei hatte eine ähnlich provokante Versammlung vor der „Roten Flora“ verboten – warum entschieden die Berliner Behörden anders?
2.
War es im vorliegenden Fall verhältnismäßig, eine Versammlung von 6 Personen von rund 200 Polizeikräften schützen zu lassen? Wäre eine Durchführung der Versammlung an einem anderen Ort möglich gewesen, die nicht einen so hohen Polizeiaufwand nötig gemacht hätte, und insbesondere nicht eine Absperrung eines Großteils des Görlitzer Parks erfordert hätte?
3.
Durch die Absperrmaßnahmen der Polizei war der Zugang zu dieser Versammlung nicht möglich. Handelt es sich damit überhaupt noch um eine Versammlung, oder handelte es sich nicht doch um eine Privatveranstaltung, die dem Schutz durch die Versammlungsfreiheit nicht unterliegt?
4.
§76 der Bauordnung für Berlin verlangt eine Genehmigung „Fliegender Bauten“. Der Videoaufbau der Pegida München war eine solche – das lässt sich auf Fotos der Veranstaltung eindeutig bestimmen – und damit genehmigungspflichtig.
Lag für den Videoaufbau der Pegida München eine solche vor?
Wenn nicht, warum hat die Polizei nicht den Abbau dieser Vorrichtung veranlasst?
5.
Die Berliner Polizei hat Foto- und Video-Aufnahmen von Teilnehmer*innen der Gegenversammlung gemacht. Das „Gesetz über Aufnahmen und Aufzeichnungen von Bild und Ton bei Versammlungen unter freiem Himmel und Aufzügen“ (VersAufn/AufzG BE, GVBl. S. 103) erlaubt das nur unter der Annahme, dass von den Teilnehmer*innen der Gegenversammlung erhebliche Gefahren für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgingen.
Welche konkreten Anhaltspunkte rechtfertigten diese Annahme?
Warum wurde für diese Aufnahmen ein mobiler Videomast benutzt, obwohl Innensenator Geisel ursprünglich vorgesehen hatte, diese nur an kriminalitätsbelasteten Orten und nicht bei Versammlungen einzusetzen?
Die Antworten haben wir am 27.04.2020 erhalten.
Antwort zu Frage 1:
Die Polizei Berlin kann keine Aussagen zu Vorgängen tätigen, die die Polizei Hamburg betreffen. Es lagen der Polizei Berlin keine Informationen zum Anmelder vor, die seine Geeignetheit als Verantwortlicher im Rahmen der hohen verfassungsrechtlichen Schranken in Frage gestellt hätten.
Antwort zu Frage 2:
Die Polizei Berlin führt bei Bekanntwerden von Versammlungen eine Lagebeurteilung durch, die insbesondere auch potentielle und tatsächliche Gefährdungen berücksichtigt. Zu Einzelheiten polizeilichen Handelns wird aus taktischen Gründen keine Auskunft erteilt. Angaben hierzu könnten das polizeiliche Handeln derart einschätzbar machen, als dass die Erfüllung des polizeilichen Auftrages erschwert bzw. verhindert würde. Auf Grund des hohen Verfassungsranges hat der Gesetzgeber für die Durchführung von Demonstrationen kein Erlaubnisverfahren vorgesehen. Versammlungen unter freiem Himmel sind gern. § 14 des Versammlungsgesetzes (VersG Bin.) insofern lediglich anmelde- bzw. anzeigepflichtig. Der Artikel 8 Grundgesetz (GG) räumt den Veranstaltenden einer Versammlung hierbei eine weitgehende Typen- und Gestaltungsfreiheit ein, Veranstaltende können mithin über Ort, Zeitpunkt und vor allem auch über Art und Inhalt ihrer Veranstaltung frei entscheiden.
Behördliche Einschränkungsmöglichkeiten sind unter Beachtung des hohen Schutzgutes der Versammlungsfreiheit zum Schutz der Grünanlage nur möglich, wenn der festgelegte Widmungszweck der Grünanlage gefährdet wäre oder infolge der Durchführung der vorgesehenen Versammlung nachhaltige Beeinträchtigungen durch langfristige Schäden für diese zu befürchten sind.
Eine Gefährdung des Widmungszweckes der Grünanlage Görlitzer Park war vorab für die o.a. Versammlung nicht zu erwarten. Die Versammlung war in ihrer flächenmäßigen Ausdehnung nur auf einen Teil des Parks sowie in ihrer Dauer auf einen begrenzten Zeitraum beschränkt, so dass die übrigen Flächen zu Erholungszwecken zur Vertügung standen. Anhaltspunkte für eine nachhaltige Beschädigung der befestigten Fläche bestanden nicht. Darüber hinaus war eine Ortsbezogenheit der Versammlung zur gewählten Örtlichkeit gegeben, da sich das Motto der Versammlung explizit auf die gegenwärtige Situation im Görlitzer Park bezog, so dass vorliegend keine rechtliche Handhabe für eine versammlungsrechtliche Beauflagung bestand.
Antwort zu Frage 3:
Nach rechtlicher Einschätzung der Versammlungsbehörde in Berlin handelte es sich um eine Versammlung im Sinne des Versammlungsgesetzes, das die Rechtsgrundlage für die Einsatzbewältigung darstellte. Die Absperrungen waren für den Schutz der Versammlung erforderlich und resultierten aus der polizeilichen Lagebeurteilung. Sie waren weder darauf ausgerichtet, noch dazu geeignet, den Rechtscharakter der Versammlung zu verändern.
Antwort zu Frage 4:
Bei den angemeldeten Aufbauten (Videoleinwand auf einer Traverse, Fahrzeug mit eingebauter Videotechnik, Lautsprecher sowie ein Stromgenerator) handelte es sich um Kundgebungsmittel, die für die Durchführung der Versammlung als wesensnotwendig und damit versammlungsimmanent befunden wurden. Die Versammlungsaufsicht obliegt der Zuständigkeit der Polizei Berlin. Eine bezirkliche Zuständigkeit war nicht gegeben. Entscheidungsträger des für die Bauordnung zuständigen Bezirksamtes waren nicht am Ort. Der Polizeiführer vereinbarte deshalb mit dem Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg, die Aufbauten der Versammlung fotografisch zu dokumentieren und dem Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg zur rechtlichen Würdigung und möglicherweise weiteren Veranlassung zu übermitteln.
Antwort zu Frage 5:
Ungeachtet der angemeldeten Versammlung war ein sogenannter Videoanhänger der Polizei Berlin im Görlitzer Park aufgestellt. Der Görlitzer Park ist als kriminalitätsbelasteter Ort klassifiziert, was dazu führt, dass der Videoanhänger dort, aber auch an anderen relevanten Örtlichkeiten, regelmäßig im Rahmen des polizeilichen Einsatzkonzeptes zum Einsatz kommt. Eine Datenerhebung (Ausrichtung des Objektivs und/oder Aufzeichnen von Sequenzen) hat im Zeitraum der Versammlung nicht stattgefunden.
Auch Niklas Schrader hat zum Thema "Einsatz und Nutzen von mobiler Videoüberwachung" nachgefragt und diese Antwort erhalten:
Frage 11
Welche tatsächlichen Anhaltspunkte rechtfertigten aus Sicht der Polizei gegebenenfalls die Annahme, dass von den Versammlungen am 4. Oktober 2019 im Görlitzer Park erhebliche Gefahren für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgehen könnten, um Bildaufnahmen anfertigen zu können? (Bitte ausführen.)
Antwort
Der Einsatz mobiler Videotechnik erfolgte mit Entscheidung des Abschnitts 53 auf Grundlage von § 24 Abs. 1 ASOG Bln an einem kriminalitätsbelasteten Ort und stand ausdrücklich nicht im Zusammenhang mit der Versammlung. Zur Vorbeugung von Missverständnissen wurden sowohl der Versammlungsleiter der eigentlichen Versammlung als auch die Anmelderin einer späteren Gegenversammlung über den Einsatz der mobilen Videotechnik und deren Ausmaß informiert. Damit sollte sichergestellt werden, dass Transparenz gegenüber allen Versammlungsteilnehmenden hergestellt werden kann. Beide Versammlungsorte erstreckten sich nicht auf den Wirkungsbereich der mobilen Videotechnik.
Frage 12
Über welche Zeiträume und zu welchem Zweck befand sich die Mastkamera des mobilen Videowagens bei der Kundgebung am 4. Oktober 2019 im Görlitzer Park in ausgefahrener Position?
Antwort
Die Kamera am Mast des Videoanhängers wurde vom 4. Oktober 2019, 11:48 Uhr bis zum 5. Oktober 2019, 02:23 Uhr ausgefahren und war dabei durchgängig auf den Anhänger (sogenannte Neutralposition) ausgerichtet. Diese Kameraeinstellung ermöglicht ausschließlich die Betrachtung des Anhängerdaches.